Hans Fähnle: Selbstbildnis, ca, 1950, Privatbesitz

„Der Wille vermag zwar viel, Künstler aber ist man, oder man ist keiner.“

Hans Fähnle, 1924


Der Maler und Grafiker Hans Fähnle (1903 – 1968) zählt zu den Künstlern der sogenannten verschollenen Generation, die vor der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland zu jung waren, um ihren Durchbruch zu erleben, und nach dem Zweiten Weltkrieg oft zu alt, um sich gegen die neuen künstlerischen Strömungen und Bewegungen durchzusetzen.

Die Verschollene Generation geriet weitgehend in Vergessenheit, da ihre Mitglieder zwischen den etablierten Künstlern der Vorkriegszeit und den aufstrebenden Nachkriegstalenten kaum Raum zur Entfaltung fanden. Viele dieser Künstler, darunter auch Fähnle, hatten aufgrund der politischen und sozialen Umstände ihrer Zeit Schwierigkeiten, sich in der Kunstszene zu behaupten. Trotz ihrer oft bemerkenswerten künstlerischen Beiträge wurden sie lange Zeit wenig beachtet, da der Fokus der Kunstwelt auf andere Strömungen und Namen gerichtet war.

Fähnles Werk zeichnet sich durch enorme Vielseitigkeit aus. Seine künstlerische Entwicklung von einem impressionistisch geprägten Stil hin zu expressiver, abstrahierender Ausdrucksweise, ist ein Beispiel für die kreative und oft übersehene Kraft dieser Generation.


Leben

1903
12. Juni: Hans Eberhard Fähnle wird in Flein als zweiter Sohn des Schulrektors Paul Fähnle und seiner Frau Luise, geb. Schwarz, geboren.

1920-22
Besuch der Evangelisch-Theologischen Seminare Schöntal und Urach.

1922-24
Studium an der Kunstgewerbeschule und an der Akademie Stuttgart bei Robert Poetzelberger, Christian Speyer und Robert Breyer, die einen impressionistischen Malstil vertreten; Beginn der Freundschaft mit Rudolf Müller, Wilhelm Geyer und Franz Frank. Fähnle konzentriert sich auf die klassischen Themen Porträt, Landschaft, Stillleben und vereinzelt Stadtansichten.

1924-1925
Studium an den Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst Berlin in der Radierklasse mit Meisteratelier bei Hans Meid, dessen impressionistisch lockere Bildauffassung sich jedoch nicht auswirkt; beeindruckt von Hans von Marées und damaligen Ausstellungen der Französischen Moderne; unter möglichem Einfluss von Lovis Corinth entwickelt sich ein gemäßigt expressionistischer Malstil.

1925-1926
Meisterschüler und Atelier bei Georg Burmester, einem norddeutschen Marine- und Landschaftsmaler an der Akademie Kassel. Auch dessen Werk ohne merklichen Einfluss. Aus der Kasseler Zeit erhalten ist eine kraftvolle Ansicht der Orangerie. Freundschaften mit Richard Hohly, Otto Staudenmaier, Josef Kranzhoff.

1926
Fortsetzung des Studiums an der Akademie in Kassel. Bekanntschaft mit dem Intendanten Paul Bekker und seiner Frau Hanna Bekker vom Rath; die Malerin und spätere Galeristin in Frankfurt fördert Hans Fähnle immer wieder und ist mit ihm über Jahrzehnte in freundschaftlichem Kontakt.

1926-1935
Wanderjahre. Auf der Suche nach dem passenden Ort für eine Künstlerexistenz pendelt Fähnle ständig zwischen gesicherten und Erfolg versprechenden Standorten: Akademie in Kassel, ‘Blaues Haus’ von Hanna Bekker in Hofheim, Malaufenthalt auf Rügen, Atelier in Berlin, Malsommer am Bodensee und anderen Orten.

1932
Nach der Pensionierung von Paul Fähnle ziehen die Eltern nach Überlingen am Bodensee und bauen sich dort ein Haus mit Blick über den See. Hans Fähnle besucht sie regelmäßig und richtet sich bei ihnen ein Atelier ein.

1934/35
Zweimonatiger Aufenthalt in Frankfurt am Main; begeisterter Besuch der Sammlungen des Städels. Stadtansichten in Zeichnungen und Gemälden.

1935
Übersiedlung nach Stuttgart; Wohnungen zunächst in Bad Cannstatt, dann bis zur Kriegszerstörung in der Schützenstraße, schließlich ab 1948 bis zum Lebensende im wiederaufgebauten Städtischen Atelierhaus in der Ameisenbergstraße 61.

1935
Reise nach Venedig zur großen Tizian-Ausstellung, nach Florenz und zurück über Zürich.

1936
Erste große Einzelausstellung im renommierten Kunsthaus Schaller. Fähnle zeigt insgesamt 47 Bilder sowie eine Reihe von Aquarellen und Zeichnungen; es handelt sich vorwiegend um frühere Werke in spätimpressionistischem Stil. Die Ausstellung wird durchweg positiv besprochen.

1936-1941
„Eiertanz“ zwischen Brotarbeit und freier Malerei; Befürchtung, seine neuen malerischen Tendenzen könnten kontrolliert und untersagt werden.

1941-45
Soldat und Kriegsdienst als Mitglied eines Eisenbahntransport- und Sicherungsregiments zuerst in Russland an der Ostfront, dann in Lothringen an der zerbrechenden Westfront, zuletzt von Wien aus auf dem Balkan.

1941
Tod des 21-jährigen Bruders Gotthold im Russlandfeldzug.

1942
Tod des Vaters. Verpflichtung zur Organisation der Ausstellung „Künstler im feldgrauen Rock“. An der Ostfront entstehen 22 Kreidezeichnungen, die Hans Fähnle unter dem Titel „Passion 1942“ zusammenfasst und 1946 als Lichtdrucke publiziert.

1944
Zerstörung des Stuttgarter Ateliers bei einem Bombenangriff, Verlust von Teilen des Frühwerkes.

1945
Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft.

1946-1947
Erste Ausstellungen mit einzelnen Blättern des Grafikzyklus Passion und mit Gemälden in Stuttgart (Kunst gegen Krieg), Basel, Konstanz und Tübingen (Moderne Deutsche Kunst: ‚Kreuzigung‘, 1946, und ‚Der verlorene Sohn‘).

1947-1948
Mitarbeit beim Wiederaufbau des städtischen Ateliergebäudes in der Ameisenbergstraße 61 in Stuttgart; Bezug eines der Ateliers; Nachbarschaft mit Rudolf Müller, Eugen Stammbach und Heinrich Kübler. Mitglied der Society of Modern Art / Freie Ausstellergruppe in Stuttgart.

1947
Mitbegründer und Lehrer für Malerei der Freien Kunstschule Stuttgart. Teilnahme an der Ausstellung der Freien Ausstellergruppe im Haus Sonnenhalde, dem privaten Galeriegebäude von Hugo Borst in Stuttgart, sowie an der ersten Ausstellung der Galerie Dr. Herbert Herrmann.

1948
Teilnahme an der Ausstellung Stuttgarter Künstler in Beverly Hills/USA.

1951-53
Reisen nach Italien, Spanien, Nordafrika, nach Paris und in die Normandie.

1952
Gründungsmitglied der Freien Gruppe Stuttgart; Mitglied der Jury und des Ausschusses des Verbandes bildender Künstler Württembergs. Teilnahme an einer öffentlichen Diskussion mit Willi Baumeister zur Bedeutung der abstrakten Kunst, die vom Südfunk Stuttgart aufgezeichnet wird.

1954-63
Öffentliche Kunst am Bau-Aufträge in Stuttgart; regelmäßige Teilnahme an Ausstellungen des Württembergischen Kunstvereins, des Künstlerbundes Stuttgart und ab 1955 des Künstlerbundes Baden-Württemberg.

1955
Seit dem Gründungsjahr Mitglied des Künstlerbundes Baden-Württemberg, in dessen Jury Fähnle mehrfach berufen wird und für den er immer wieder die Hängung von Ausstellungen übernimmt.

1957
Starker Schub seiner schmerzhaften Erkrankung der Beine.

1958
Zusammen mit den Stuttgarter Künstlern Rudolf Müller, Volker Böhringer, Maxim Köhler, und Fritz Ruoff; Ausstellung im Palazzo delle Esposizioni in Rom, Gemeinschaftsausstellung in der Galerie Senatore und große Einzelausstellung im Stuttgarter Kunsthaus Fischinger.

1961
Tod des langjährigen Freundes, Förderers und Sammlers Erich Schlenker; Fähnle verfasst den Nachruf für den Mitbegründer des Künstlerbundes Baden-Württemberg für dessen Ausstellungskatalog 1962.

1963
Reise mit Franziska Sarwey nach Griechenland/Aigina; es entstehen abstrahierte Landschaftsbilder in leichter und heller Tönung.

1965
Die anhaltend heftigen Schmerzen in den Beinen verbunden mit tagelanger Schlaflosigkeit steigern sich; die Suche nach den Krankheitsursachen bleibt ebenso erfolglos wie der Einsatz von Medikamenten zur Schmerztherapie.

1968
Januar: Deutliche Schwächung des Gesundheitszustandes; Auftrag an den Bruder zur Abfassung des Testamentes; nochmals umfangreiche Bestellung von Farben.
12. März: Hans Fähnle stirbt an den Folgen eines krankheitsbedingten Sturzes in seinem Stuttgarter Atelier.

Der Bruder Ernst Fähnle beschließt, auf dem Familiengrundstück in Überlingen ein Galeriegebäude zu errichten, das einen großen Teil des künstlerischen Nachlasses von Hans Fähnle aufnehmen und der Öffentlichkeit zugänglich halten soll. Bau 1969, Eröffnung 1970.

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